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Michael Köhlmeier

Frühlingsvorlesung
Wir – Über die Sprengkraft eines kleinen Wortes. - Teil I & II
Kaum ein Wort lässt sich finden, dessen Bedeutung und Anwendung weniger eint, als das kleine Wörtchen Wir. Einmal tut es wohl, weil es dem einsamen Ich eine Heimat bietet und eine Ahnung auftreibt, woher es kommt, und eine Beruhigung bietet, die darin besteht, nicht für alles verantwortlich zu sein, die guten Taten als sicheres Geschenk, die bösen Taten als Veranlagung zu sehen, gegen die ein Ich nur schwer ankann. In der anderen Lesart wird das Wir zu Uniform, die man ablegen oder anlegen kann, je nachdem die Stimmung auf Freund oder Feind eingestellt ist. Dieses Wir ist immer ein zeitlich begrenztes und in seiner Stoßrichtung variables Wir, jeder kann sein Freund und Kampfgenosse werden, jeder sein Feind. Es ist ein aktuelles Wir. Es macht uns zu Zeitgenossen und zu Opportunisten, zu Rechthabern und Nicht-Rechthabern. In das erste Wir kann integriert werden. Es ist dem Ich nahe, es erzählt Geschichten. Geschichten berichten immer von anderen, auch wenn das Ich oder das Wir im Mittelpunkt steht. Das zweite Wir, das militärische, erzählt keine Geschichten, es erzählt Geschichte, es erzeugt Mythen, die keine andere Funktion haben, als Ideologie zu sanktionieren.

Über die Sprengkraft eines kleinen Wortes – wie wird aus intimster Familiengeschichte eine öffentliche Verpflichtung, ein Eid, die Begeisterung, für etwas zu sterben und für etwas zu töten, das niemand je gesehen hat, das nicht zur Familie gehört, über das sich keine Geschichten erzählen lassen?

Michael Köhlmeier, geboren 1949 in Hard am Bodensee, lebt als freier Schriftsteller in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen, sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. Rauriser Literaturpreis (1983), Manès-Sperber-Preis (1995) und Anton-Wildgans-Preis (1996). Zuletzt erschienen u.a. die Romane „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ (2013) und „Zwei Herren am Strand“ (2014). Bei Haymon: „Sunrise“. Erzählung (1994, HAYMONtb 2010), „Die Leute von Lech“ (mit Fotos von Konrad R. Müller, 1994), „Trilogie der sexuellen Abhängigkeit“ (HAYMONtb 2008), „Drei Depeschen gegen den Krieg“ (2014), „Das Lied von den Riesen“. Mit Zeichnungen von Lorenz Helfer (2015), „Der Unfisch“ (HAYMONtb 2016) sowie zuletzt „Der Mensch ist verschieden“ (2017), eine kleine Sammlung an Charakterporträts, die Michael Köhlmeier gemeinsam mit seiner Frau Monika Helfer verfasst hat. 2018 erschien Michael Köhlmeiers Liebeserklärung an die Märchen „Von den Märchen“. Eine lebenslange Liebe als Auftakt der Reihe HAYMON schwärmt.
Termine
24., 25. April 2019, 19:00 Uhr
Weitere Informationen
Anfragen und Anmeldung:
Akademie Graz, Elke Riedlberger
T: 0316 837985-14
E: elke.riedlberger@akademie-graz.at
Veranstaltungsort/Treffpunkt